04. Mrz 1961: Ihre tgliche Arbeit: Bomben und Granaten
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10.000 Meldungen ber Fundmunition in sieben Jahren - Erschreckende Bilanz des Sprengkommandos Feucht – 2.688.200 Stck Munition aller Art entschrft und vernichtet – Zehn Mann sind die Vollstrecker eines todbringenden Erbes – Erstes Gebot: Sicherheit - 04.03. 06:00 Uhr
Nrnberg - Der Krieg hat noch kein Ende gefunden. Er geht weiter: tglich von 8 bis 16.30 Uhr in der ehemaligen Munitionsanstalt Feucht. Ein knappes Dutzend Mnner sind die Vollstrecker eines todbringenden Erbes, das weit im Land verstreut liegt – versteckt in der Erde, hinter Bschen, in dichten Wldern, tiefen Stauseen, schmutzigen Tmpeln und gemchlich dahinstrmenden Flssen. Nrnberg - Der Krieg hat noch kein Ende gefunden. Er geht weiter: tglich von 8 bis 16.30 Uhr in der ehemaligen Munitionsanstalt Feucht. Ein knappes Dutzend Mnner sind die Vollstrecker eines todbringenden Erbes, das weit im Land verstreut liegt – versteckt in der Erde, hinter Bschen, in dichten Wldern, tiefen Stauseen, schmutzigen Tmpeln und gemchlich dahinstrmenden Flssen.
In einem 225 Hektar groen Gelnde bei Feucht begrenzt von den Autobahnen nach Mnchen und Schwabach, der Zubringerstrae und der Bundesstrae 8 nach Regensburg, sammelt sich der Nachla des letzten Krieges, von der Gewehrmunition bis zu Bomben aller Kaliber. Es ist, festgehalten in acht Journalbchern, eine erschreckende Bilanz, die die Mnner vom Sprengkommando Feucht jetzt ziehen konnten:
Seit dem 1. April 1954, seit die Mnner des Kommandos von Behringersdorf nach Feucht umgezogen sind, gingen 10.000 Meldungen ber Fundmunition ein. Wir haben schon kurz darber berichtet.
„Blindgnger-Friedhof“ nennen die Arbeiter diesen mit Stacheldraht abgezunten Platz. Gefhrliche dicke Brocken warten darauf, gesprengt zu werden. Eines Tages werden sie in deutsche Hfen transportiert, um dort Schiffswracks zu zerstren. So erfllen die Blindgnger wenigstens noch einen Zweck: Kosten sparen.
Foto: Gertrud Gerardi/NN
Nchterne Zahlen addiert
Der leitende Sprengmeister der Abteilung, Richard Hesse, hat nchterne Zahlen addiert, die Einblick in die Leistung der zehn Mnner des Sprengkommandos geben. In den verflossenen sieben Jahren bargen sie in den drei frnkischen Regierungsbezirken und Teilen der Oberpfalz 2.688.200 Stck Munition im Gewicht von 600 Tonnen, davon zwei Millionen Hand- und Bordwaffenmunition einschlielich 3,7-cm-Granaten, 5800 Handgranaten, 5600 Panzerfuste, 410 Minen aller Art, 1400 Gewehrgranaten, 13.600 Granaten von 7,5 cm bis 21 cm Kaliber, 8600 Brandbomben von zwei bis 125 Kilogramm Gewicht, 3000 Wurfgranaten, 1900 deutsche Bomben von 1 bis 500 Kilogramm, 430 Sprengbomben amerikanischer und englischer Herkunft von 50 bis 1800 Kilogramm Gewicht. Der Rest waren kleine Munitionsteile, wie Znder, Hlsen und Kartuschen.
Unter den 355 groen „Brocken“ von 2 bis 40 Zentnern bereiteten 41 Bomben Richard Hesse und seinen Kameraden besonderes Kopfzerbrechen. Die Bomben waren mit Langzeitzndern versehen, „Teufelsfallen“, wie sie der Sprengmeister nennt, denn man sieht ihnen nichts an. Das Entschrfen ist hier Gefhlssache – und ausschlielich dem Gefhl, einer Portion Erfahrung und Glck ist das Unschdlichmachen einer Fnf-Zentner-Bombe amerikanischer Bauart zu verdanken, die im Herbst vorigen Jahres bei Freilassing gefunden worden war, ausgestattet mit einem Langzeitznder kompliziertester Art und mehreren Ausbausperren. Hesse schaffte es mit seinem von ihm in dreijhriger Tftelei entwickelten Bomben-Entschrfungsgert, das, inzwischen in mehreren Exemplaren nachgebaut, manchem Sprengmeister im Bundesgebiet das Leben gerettet hat.
Das Signalhorn warnt
Heute steht der Znder, unschdlich gemacht, neben einem englischen auf dem kleinen Schreibtisch in Hesses Bro und der Blick des Besuchers bleibt hin und wieder erschreckt an diesen Mordwerkzeugen hngen. Von drauen klingt langgezogen der Ton eines Signalhorns in den kleinen schlichten Brobau. Es folgen zwei kurze Tne und nach Sekunden zerreit eine Detonation die Luft: eine erdverschmutzte 8,8-Granate wurde zusammen mit einer Panzerfaust in die Luft gejagt, wie hundert Tonnen anderer Fundmunition seit Jahresbeginn.
Einer Mondlandschaft gleicht das Gelnde, in dem die zehn Mnner – neben dem leitenden Sprengmeister Hesse, die Sprengmeister Walter Meyer und Fritz Seitz, augenblicklich verstrkt durch Herbert Pompe und ***** Mller, beide aus Mnchen, sowie drei Vorarbeiter und vier Arbeiter – ihrem Alltag mit Bomben und Granaten nachgehen.
Fast zwei Kilometer mssen sie vom Tor durch eine verwucherte Landschaft zu ihrem Arbeitsplatz fahren, auf Straen, die von Schlaglchern berst sind, und ber Eisenbahngleise, zwischen deren rostigen Schienen das Unkraut emporschiet. Manch einer von ihnen erinnert sich noch mit Schrecken des 5. Mai 1946, als die ehemalige Heeresmunitionsanlage in die Luft flog. Selbst in Nrnberg zitterten noch die Wnde bei diesem Inferno von Detonationen, Feuer und Rauch.
In einem Bunker war Leuchtspurmunition in die Luft gegangen, hatte den nchsten Munitionsstapel erfat. Mit rasender Geschwindigkeit breitete sich die Explosionswelle auf die anderen Bunker aus. Die Amerikaner hatten im Gelnde fast 15 000 Tonnen Munition gelagert. Alles flog in die Luft, einschlielich von V-2-Sprengkpfen. Ein verheerender Grobrand zerstrte den Hochwald, mit dem das Areal bestanden war.
Als der Regen von Erde, Splittern und nicht gezndeter Munition vorber war – das Feuer hatte zum Glck den Bunker mit Gasgranaten verschont – blieb von der Muna Feucht nur noch eine verwstete Landschaft brig. 80 v. H. der Anlage waren zerstrt. Geborsten waren die Bunker, das Gelnde mit Blindgngern verseucht.
Acht Jahre brauchten Rumkommandos, um das Gebiet Meter fr Meter umzugraben und die Munition zu bergen. ber 213 Hektar muten innerhalb und ber 76 Hektar auerhalb der Muna gerumt werden. 6740 Tonnen Munition holten die Mnner aus dem Boden, dazu 4700 Tonnen Stahl- und Blechschrott sowie 1000 Tonnen Buntmetall. „Wir sind nicht sicher, ob nicht noch tiefer in der Erde Munition liegt“, uert heute Hesse.
Schwere „Sachen“ in Bunkern
Zwischen natrlichen, meist mit kleinen Kiefern, Birken und Ginster bestandenen Hgeln und alten Bunkern liegt der Platz, an dem die Mnner des Sprengkommandos heute arbeiten. Einfache Bretter trennen die sortierte Munition, wie Zndschrauben, Granaten, 2-cm-Munition. In Bunkern sind die schwereren „Sachen“ gelagert: Brandbomben und Granaten greren Kalibers. Die geringe rumliche Ausdehnung des Sprengplatzes erlaubt nur das Vernichten von Granaten bis zu 10,5 cm Gre. Fr das Sprengen von Fliegerbomben, die nicht entschrft werden knnen, bleibt nur der Truppenbungsplatz Grafenwhr. Fr die Sprengmeister ist deshalb heute das Problem nicht mehr das Bergen der Munition, sondern ihre Vernichtung.
Die Erregung nach einer gefhrlichen Entschrfung in der Karlsbader Strae steht Sprengmeister Hesse noch im Gesicht. Die Aufnahme stammt von 1959.
Von der Witterung dunkel gefrbte und mit Sand gefllte Munitionsksten bilden das „Mauerwerk“ eines zwar primitiv aussehenden, aber trotzdem sehr wirksamen Sprengofens. In unregelmigen Abstnden knallt es in seinem Inneren. Die „Zwei-Zentimeter“ wird hier ausgeglht, wie die Fachleute sagen, allerdings mit Knalleffekt. Die beiden Arbeiter, die direkt neben dem Ofen stehen und ungerhrt ob der lautstarken Knallerei die Munition sortieren, haben sich an den Krach gewhnt. Sorgfltig und vorsichtig nehmen sie Stck fr Stck in die Hand, kontrollieren sie auf Beschdigungen und scheiden die mit Phosphor geladenen, sowie die Spreng- und Panzergranaten aus. Am Boden der Granaten lt sich der Unterschied erkennen: mit Nummer versehen, handelt es sich um „normale“ Znder, ohne Nummer um solche mit Phosphor. Von ihnen wird, wenn sie keinen Znder haben, die Phosphorkapsel im Ofen vernichtet.
Ein Wagen voll Munition
Vor einem anderen Ofen steht ein wacklig aussehender Wagen. Sein Boden ist mit verbogenen Stcken von Eisenbahnschienen bedeckt. Das „Fahrzeug“ wird vollgepackt mit Bombenzndern und Gewehrmunition und in den Ofen geschoben. Durch Feuer glht man die Ladung aus. Um ganz sicher zu gehen – oberstes Prinzip ist Sicherheit zuerst!“ - wird das Material noch ein zweites Mal ausgeglht.
Suberlich nach Art sortiert, stapelt sich die Munition vor den Sprengfen, die neben einem Mauerwerk noch durch alte sandgefllte Munitionsksten nach auen geschtzt sind. Der dunkle Stapel besteht aus Zndern.
Die Mnner wissen ganz genau, im Gegensatz zu manchem wilden Altmetallsammler, da Munition stets gefhrlich ist und sei sie noch so verrostet. Auf dem Lechfeld fand man zum Beispiel krzlich Granaten aus dem Krieg 1870/71: sie hatten ihre Sprengwirkung keineswegs verloren.
Oben, auf einem Hgel, steht der Sprengbunker, mit dicken Balken, Eisenbahnschienen und Stahlplatten abgesichert. Einen natrlichen Schutz bieten darber hinaus Sandsteinfelsen. Hier geht es den Minengranaten an den Kragen, 60 dieser heimtckischen Dinger, nur zwei Zentimeter dick, werden um eine Patrone gepackt und elektrisch gezndet. Ihre Explosion ist bis nach Feucht zu hren.
Etwa 200 Meter vom Zndbunker entfernt tut sich eine Kraterlandschaft auf. Die zahllosen Sprengungen haben tiefe Trichter in das Erdreich gerissen, Strucher und Gras hinweggefegt. Unter zwei drren Birken – es ist ein Wunder, da sie noch halbwegs heil stehen – sind Flakgranaten, Kaliber 8,8, gelagert, daneben einige Panzerfuste. Beides zusammen wird auf einmal gesprengt. Die Sprengmeister ntzen dabei die Detonationswirkung aus, um zu vermeiden, da die Splitter nicht zu weit in der Gegend herumfliegen.
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Aus den Nrnberger Nachrichten vom 4./5. Mrz 1961