Darmstadt (Germany) / 20. Juli 2010
Pfungstadt
Oma Hertha sei Dank
Eine Fnf-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg hat gestern fr mehrere Stunden zum Ausnahmezustand im Pfungstdter Ortsteil Hahn gesorgt. Das Geschoss, in dem 120 Kilogramm Sprengstoff steckten, htte bei einer Explosion einen 15 Meter tiefen Krater reien und Huser dem Erdboden gleichmachen knnen.
Die Bombe wurde schon lnger auf dem Anwesen der Bauersfamilie Schaffner an der Gernsheimer Strae vermutet. Erst jetzt sahen sich die Behrden aber zum Handeln veranlasst. Zeitzeugen hatten nicht locker gelassen und angesichts von Bauarbeiten an der Hauptstrae auf die Gefahr aufmerksam gemacht. Gestern rckte der Kampfmittelrumdienst des Regierungsprsidiums Darmstadt aus. Ab 9 Uhr wurden 29 Huser evakuiert, darunter eine Bckerei, ein Friseur und eine Krabbelstube.
Nach einem dumpfen Knall gab es gegen 13 Uhr schlielich Entwarnung: Die ferngezndete Sprengpatrone des Entschrfungsgerts hatte ihre Arbeit getan. Ein Bagger hievte die Bombe auf einen Lastwagen. Als Gefahrguttransport gelangte das Weltkriegsrelikt am Nachmittag zur Kampfmittelbeseitigungsanlage nach Mittelhessen. Dort wird die Bombe untersucht.
Ein klassischer Blindgnger
Familie Schaffner sah sich am Dienstag auf ganzer Linie rehabilitiert und besttigt. In der Pfungstdter Stadtverwaltung habe man immer wieder geschmunzelt, wenn in den vergangenen Jahren das Gesprch auf den Blindgnger gekommen sei, sagen die Landwirte. "Man hat uns nicht ernst genommen." Dabei hatte Gromutter Hertha Schaffner (90) den Abwurf der Bombe im Mrz 1945 miterlebt. Sie streifte das Hausdach, zerriss die Wasserleitung, explodierte aber nicht, sondern blieb tief im Boden stecken. "Ein Blindgnger halt", sagten die Menschen damals und schoben das Loch wieder zu.
Vor wenigen Jahren bei der Erneuerung der Hofeinfahrt wurde mit einem Presslufthammer nur wenige Zentimeter ber dem Bombenkopf hantiert, erinnern sich die Bauern. Dirk Schaffner luft es bei dem Gedanken kalt ber den Rcken. Er ist es, der die Sache in den vergangenen Wochen ins Rollen brachte. Eine Bemerkung seiner Oma schreckte ihn auf: Angesichts der Erschtterungen bei den aktuellen Straenbauarbeiten fragte sich die betagte Frau, was wohl die alte Bombe dazu sagen werde.
"Ich habe dann nochmal richtig Druck bei der Stadt gemacht", sagt Dirk Schaffner. "Ich habe die Verantwortlichen gefragt, ob sie das alles mit ihrem Gewissen vereinbaren knnen." Auch fr Richard Kramer (77), der den Bombenabwurf in Hahn als 13-Jhriger miterlebte, war nun erneut die Stunde der Wahrheit gekommen: "Schon vier Mal habe ich die Bombe bei der Stadt reklamiert, das erste Mal vor 20 Jahren", erzhlt er. Diesmal erreichte der Vorsto jedoch nicht nur die Stadt Pfungstadt, sondern auch den Kampfmittelrumdienst. Und als von dort der Gefahrenexperte Gerhard Gossens kam, fhlten sich die Zeitzeugen zum ersten Mal wirklich verstanden.
"Wir nehmen solche Hinweise aus der Bevlkerung sehr ernst", sagt Gossens, der selbst zunchst skeptisch war. In den Luftaufnahmen der Alliierten fanden sich keine Hinweise auf Bombenabwrfe an dieser Stelle. Weil Kramer aber die Abwurfstelle sehr przise beschrieb, lie Gossens Spezialisten mit Sonden kommen. Die Gerte stellten eine magnetische Anomalie in drei Meter Tiefe fest - ein klarer Hinweis auf die Bombe.
Als die Arbeiter die Stelle am Montag freigelegt hatten, sahen sie das Geschoss im Boden stecken. "16 Millimeter Stahlmantel, Sprengstoffgemische aus TNT und Hexogen, zwei mechanische Aufschlagznder", stellte Gossens fest. "Aber zum Glck kein kritisches Zndsystem". (sami)
Angriff am Nachmittag
Sicher nicht mehr am Leben wre die heute 90-jhrige Hertha Schaffner, wenn das Zndsystem der Fnf-Zentner-Bombe funktioniert htte, die am 24. Mrz 1945 nachmittags ber der Gernsheimer Strae 104 vom Himmel fiel. "Sie streifte das Haus, riss eine Mauer um und blieb tief im Boden stecken", erzhlt die Buerin.
Den Bombenabwurf erlebte auch Richard Kramer mit. Schrg gegenber, auf der anderen Straenseite, stand der damals 13-Jhrige mit Mutter und Schwester. "Ich schaute den vorrckenden Panzern zu", erzhlt er. "Da flogen pltzlich zwei amerikanische Jagdbomber ganz tief ber Hahn." Als sie beschossen wurden, fhlten sich die amerikanischen Piloten offenbar provoziert, kehrten um und warfen ihre tdliche Fracht ab. Kramer hat nicht direkt gesehen, wie die Bombe einschlug. Aber da die Wasserleitung getroffen war, "spritzte es haushoch". Kramer hat sich die Stelle bis heute eingeprgt.
Keinen Anlass zur Beunruhigung wegen nicht gezndeter Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg in Hahn sahen bislang die Behrden. Hinweise von Zeitzeugen wurden jahrelang ignoriert. "Es macht keinen strategischen Sinn, ein so kleines Dorf zu bombardieren", sagt Gerhard Gossens, Experte beim Kampfmittelrumdienst. Nach Augenzeugenberichten und dem gestrigen Fund hlt er aber fest: "Am 24. Mrz 1945 fielen sechs Bomben, darunter der Blindgnger." (sami)